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Erde, Feuer, Wasser, Luft

MANFRED STRECKER
Neue Westfälische, 5/2001

Bielefeld. Nichts bleibt. Und daher wird dauernd Neues. So wohlgemut denkt der Philosoph Heraklit (540–480 v. u. Z.), für den Ende und Tod nur einen Umschlag im dauernden Werden und Vergehen bedeutet. Aus Erde wird Feuer, aus Feuer Luft, aus Luft das Wasser, des Wassers Tod aber – was den ewigen Kreislauf schließt und weiter treibt – lebt die Erde, von der wieder aufflammend das Feuer zehrt.

Der Bielefelder Schrift- und Buchkünstler Gereon Inger münzt aus Heraklits kosmischen Gesetzen Kunst. Im Keller der Szenen-Galerie „Artists Unlimited“ reiht er auf fragil-stabilen Gestellen aus dünnem Bambusrohr schwere Holzplatten von Erle bis Eiche aneinander – wie die Bücher auf den Pulten einer mittelalterlichen Bibliothek. Gepresste Baumblätter – die ersten fand er in antiquarischen Büchern – liegen auf den Platten auf, bemalt sind sie mit dieser oder jener Figur, diesem oder jenem suggestivem Gesicht, sozusagen die Persona zu jedem Buch.

Einzelne dieser gepressten und braunen Blätter lösen sich aus dem stilisierten Buch und fliegen auf. Damit symbolisiert Gereon Inger eine der Pointen, die er mit der Ausstellung verfolgt. „Codex dissolutus“ nennt er die Installation – „aufgelöstes Buch“. Auch die Bücher – als materielle Objekte und die Texte, Erinnerungen, Mitteilungen, die sie bewahren – sind Heraklits Kreislauf des Lebens unterworfen.

Deshalb setzt Inger in einer weiteren Installation die Bücher dem zerstörerisch-schaffenden Verwandlungswerk der Elemente, nämlich der ostwestfälischen Witterung aus. Auf Bäume und Dächer rund um die Galerie platziert Inger hier ein Exemplar der „Ästhetik des Hässlichen“ des Hegelianers Karl Rosenkranz, dort eine Ausgabe – „eine teure aus den 40er Jahren“ – der Fragmente des Heraklit.

Kunst – so zeigt es Gereon Inger – ist Heraklits Weltgesetzen unterworfen, ein Spiel mit Bedeutungen, Kunst ist Inszenierung von Metaphysik; nichts steht fest in ihr. Für alle jedoch, die es in der Kunst handfest, die also Bilder lieben, findet sich in der Philosophie des Heraklit auch Verständnis und Trost: „Der Esel würde den Häcksel dem Golde vorziehen“, schreibt der Philosoph in einem der überlieferten Fragmente.

Gereon Inger: „Codex dissolutus. Über die Schwäche“. Bis 3. Juni Galerie Artists Unlimited, Viktoriastraße 24, Bielefeld. Fr. bis so. 17–20 Uhr. Weitere Informationen über Ausstellung und einen der bemerkenswerten Bielefelder Künstler im Internet: www.inger.de