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Gereon Inger und Wolfgang Hahn in der ID-Galerie

Porträts auf Ahornblättern

KLAUS SEBASTIAN
Rheinische Post, 13. 10. 1996

Eine imposante Miniatur-Ausstellung hat der Bielefelder Gereon Inger da aufgebaut. Sein „Sandkasten-Museum“ besteht aus 32 klitzekleinen Objekten, die sich in Form einer Spirale in den Raum schrauben. Wer Ingers Liliput-Kunst richtig genießen will, muß also die Pupillen scharfstellen und hin und wieder in die Hocke gehen, um den banalen Kleinoden die gehörige Zuneigung zu erweisen. Dabei möchte man tatsächlich fast auf die Knie fallen, wenn man sieht, wie meisterhaft der Crummenauer-Schüler auf kleinstem Raum sein Bild von der Welt in Szene setzt.

Ihm genügt der helle Fleck auf einer braunen Kastanie – ein Bildträger, kaum größer als ein Pfennigstück. Eindringliche Porträts zaubert er auf Ahornblätter, kleine Schildkrötenpanzer oder Garnrollen. Unter der Patina verrottender Konservendeckel schimmern ausdrucksvolle Gesichter wie aus einer längst vergangenen Zeit. Dem scheinbar wertlosen, unnützen Ding haucht der Künstler einen Funken Leben ein.

Inger setzt dem Gigantischen, dem Größenwahn mit Ewigkeitsanspruch die Poesie einer zerbrechlichen, vergänglichen „Minimal Art“ entgegen. Oft kombiniert er seine bemalten Bagatellen und Fundobjekte auch zu lyrischen Ensembles. Ein Plastikpferdchen galoppiert neben einem Streichholz und einem Avocadokern.

Schon die Aufzählung seiner Werkutensilien macht neugierig: Liederbuchpapier, Eis-Stiel, staubiges Glas, Saharasand, Kirschkerne, Zuckerpapier, Muscheln, Palmzweig, Namensperlen. Das Alphabet eines modernen Miniaturpoeten, der Erinnerungen an die Kindheit wachrufen will. Den Spieltrieb des Besuchers stachelt Inger auch noch mit einem Knobelbecher und Geldscheinen an. Sammler, die mit den angegebenen Kaufpreisen nicht einverstanden sind, können ihr Glück beim Würfeln versuchen. Wer Pech im Spiel hat, zahlt eben ein bißchen mehr – es rechnet sich, so oder so.